Zwischen Sonne und Halbmond. Das Erbe des Türkenlouis: Bauen und Bewahren

Zwischen Sonne und Halbmond. Das Erbe des Türkenlouis: Bauen und Bewahren

Organisatoren
Landesbetrieb "Vermögen und Bau Baden-Württemberg"
Ort
Rastatt
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2005 - 16.09.2005
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Von
Harald Haury, Stuttgart; Frank Thomas Lang, Stuttgart

Das Rastatter Schloss ist eine der großartigsten und ehrgeizigsten barocken Schöpfungen im deutschen Südwesten - und ist dennoch immer noch fast ein Geheimtipp, eine Einordnung, die seiner künstlerischen und historischen Bedeutung in keiner Weise Rechnung trägt. Das könnte, ganz kurz gefasst, als Fazit am Ende eines Kolloquiums in Schloss Rastatt gezogen werden. Denn am Ende der Tagung herrschte Einigkeit über den europäischen Rang der Residenz in künstlerischer Hinsicht - eine heutige Einschätzung, die der Perspektive ihres Erbauers vor 300 Jahren entspricht.

Die zweitägige Veranstaltung "Das Erbe des Türkenlouis: Bauen und Bewahren", organisiert von der Verwaltung Vermögen und Bau Baden-Württemberg, fand im Rahmen des Jubiläums statt, mit dem 2005 der 350. Geburtstag des Markgrafen Ludwig Wilhelm, Bauherr der Residenz, in Rastatt gefeiert wurde.

Zu der hochkarätig besetzten, interdisziplinären Tagung waren Gäste aus Paris und Versailles, Prag, Wien und sogar der Türkei angereist. Die Herkunftsorte der Referentinnen und Referenten markieren zugleich die geographischen Punkte, zwischen denen das Schloss kunst- und kulturgeschichtlich zu verorten ist. Es sind der französische Hof, an dem der Markgraf Ludwig Wilhelm seine frühe Kindheit verbrachte. Der Kaiserhof in Wien, vor dessen Toren er so erfolgreich gegen die Osmanen gekämpft und den legendären Namen Türkenlouis errungen hat, sowie die mächtige und vermögende Herkunft der Markgräfin Sibylla Augusta aus Böhmen mit einer reichen künstlerischen Tradition. Ludwig Wilhelm hatte Ludwig XIV., den Sonnenkönig, der in Versailles residierte, zum Patenonkel. Als souveräner Reichsfürst und höchster Soldat stand er im Dienst des Habsburgischen Kaiserhauses. Er und seine Gattin Sibylla Augusta bewegten sich auf der großen Bühne der europäischen Politik. Sie waren willens und in der Lage, auf europäischem Niveau zu bauen. Ihre Rastatter Residenz, das ehrgeizige Neubauprojekt, wurde von vornherein mit einem Qualitätsanspruch angelegt, der dieser Verortung entsprach.

Dieser geographischen Verortung folgte die inhaltliche Planung des Kolloquiums. Eine erste Tagungssektion widmete sich der europäischen Dimension der Barockresidenz Rastatt. Am Beginn stand von Ulrike Seeger, Kunsthistorikerin, Universitätsdozentin und in der aktuellen Forschung zum 18. Jahrhundert engagiert, eine Darstellung der architektonischen und künstlerischen Situation in Wien um 1700. In jenen Jahren herrschte dort ein Bauboom ohne gleichen, der, so die Referentin, Wien zu einem Umschlagplatz der aktuellen künstlerischen Ideen werden ließ. Von dort holte der Bauherr Ludwig Wilhelm seinen Architekten, den Italiener Domenico Egidio Rossi. Ihm widmete sich der Vortrag des Präsidenten des österreichischen Bundesdenkmalamtes Wilhelm Georg Rizzi, der die Einflüsse untersuchte, die sich im Werk des Baumeisters zeigen. Rosemarie Stratmann-Döhler, über Jahrzehnte Konservatorin am Badischen Landesmuseum und Expertin für barocke Kunst in Südwestdeutschland, untersuchte hingegen die geografische Gegenrichtung: Welche Einflüsse kamen aus dem übermächtigen Versailles, dem Schloss, das ideell in der barocken Herrschaftsarchitektur dominierte? Rastatt, so sehr das Habsburger Vorbild das Detail beherrscht, kann hier auf eine hervorragend erhaltene vergleichbare Gesamtanlage der Stadt verweisen: Strahlenförmig - wie auch in der französischen Residenz - gehen die Straßen vom Sitz des Fürsten aus. Die für Schloss Rastatt zuständige Konservatorin Ulrike Grimm ging der Frage nach, ob schon zu Zeiten von Ludwig Wilhelm und Sybilla Augusta die neue Residenz als Denkmal des siegreichen kaiserlichen Heerführers gedacht, gebaut und ausgestattet wurde.

Die kunsthistorische Würdigung fand ihre Ergänzung in der zweiten Tagungssektion. Sie widmete sich der langjährigen Restaurierung des Bauwerkes und seiner erhaltenen wandfesten Ausstattung in den Jahren seit 1966. Zugleich nahm man in jenen Jahren auch eine vorsichtig rekonstruierende Wiedereinrichtung des Schlosses in Angriff. Davon zeugt das heutige Erscheinungsbild. Um nur zwei Beiträge dieses Themenbereiches herauszuheben: Wolfgang E. Stopfel, der die Baumaßnahmen des Landes leitete, gab einen Überblick über das langwierige Projekt. Von der komplizierten Rekonstruktion der historischen Wandbespannungen berichtete Philippe Verzier (Versailles). Dieser fast 20 Jahre andauernden Wiederherstellung verdankt die Rastatter Residenz ihre inzwischen einigermaßen florierende Präsentation als Museumsschloss mit rund 25.000 Besuchern pro Jahr - Tendenz steigend.

Die dritte, den gesamten zweiten Tag des Kolloquiums einnehmende Sektion stand ganz im Zeichen einer einmaligen Kostbarkeit: der hochbarocken Schlosskirche. Der prachtvoll ausgestattete Bau wurde von Markgräfin Sibylla Augusta, der Gemahlin Ludwig Wilhelms, in Auftrag gegeben. Zutiefst katholisch und stark von der Frömmigkeit des Piaristenordens geprägt, verfolgte sie als Bauherrin ein Programm, das einerseits zeittypisch von der nachtridentinischen Theologie der Ecclesia Triumphans geprägt war, anderseits aber auch deutlich die ästhetischen Vorlieben und ganz persönliche Frömmigkeit der Markgräfin widerspiegelte. Ihr Sendungsbewusstsein, als katholische Fürstin Vorkämpferin der einzig wahren Kirche gegen die reformatorischen Irrlehren zu sein, spielte dabei eine wichtige Rolle.

Wie sehr die Witwe des Türkenlouis in Rastatt in allen Details der komplexen malerischen Ausstattung in Erscheinung tritt, demonstrierte insbesondere die Kunsthistorikerin Sigrid Gensichen in ihrem Vortrag. Am Beispiel des Deckenbildes, welches das Heilig-Kreuz-Patrozinium zum Thema hat - das Kreuz symbolisierte das tridentinische Verständnis der Eucharistie - arbeitete Gensichen den gegenreformatorischen Zug des Bildprogramms heraus. Sie machte daran ein weiteres Mal die große europäische Orientierung von Rastatt sichtbar: Die Markgräfin ließ sich im Deckengemälde als Heilige Helena, Kreuzauffinderin und Förderin des Glaubens, in Szene setzen. Sie stellte sich mit einem solchen Rollenporträt in eine erlauchte Herrschertradition. Man kennt dergleichen aus kaiserlich-habsburgischen Zusammenhängen - noch bei Maria Theresia -, aber auch aus Böhmen und Bayern. Immer wieder ließen sich katholische Herrscher der Zeit nach Maßgabe einer staatsreligiösen Ikonographie als Kreuzauffinder malen, als Kaiser Konstantin, oder, im Fall von Herrscherinnen, als Kaiserinmutter Helena.

Interessant war der Hinweis Gensichens, dass die Heilige Helena eine der wenigen Identifikationsfiguren war, die es überhaupt für Herrscherinnen gab. Für Sibylla Augusta war dergleichen beileibe kein bloßes Zitat, sondern Ausdruck persönlichen Sendungserlebnisses, Ausdruck einer mystischen Identifikation mit der dargestellten Kaiserin. Dafür spricht die religiöse Biographie der Markgräfin, die sich mit dem Grabspruch "Bettet für die Sünderin" unter einer Bodenplatte am Eingang ihrer Kirche beisetzen ließ.

Der großartigen, wohl von böhmischen Vorbildern inspirierten textilen Ausstattung der Schlosskirche widmete sich ein Vortrag der Restauratorin Diane Lanz. Sie präsentierte die in einzigartiger Vollständigkeit erhaltenen Stoffe. Alle heute noch in der Kirche vorhandenen Stücke sind bereits in einem Inventar der 1730er-Jahre genannt und machen damit diesen Bestand und den Kirchenraum zu einem einzigartigen Denkmal. Es handelt es sich um Raumdekorationen, die entsprechend dem Kirchenjahr gewechselt wurden. Erhalten ist der Satz für die kirchlichen Hochfeste, 28 großflächige Stoffbahnen, teils bestickt, teils Damaste, die zumeist auf Holzrahmen aufgespannt sind und die Architekturelemente des Kirchenraumes schmückend bedeckten. Bis heute werden die Rahmen oben von Haken und unten von Riegeln fixiert: eine ebenso kluge wie simple Technik, um den liturgischen Schmuck im Lauf des Jahres leicht austauschen zu können. Alle Stoffe sind Originale der Sibylla-Augusta-Zeit. Von der ursprünglichen Ausstattung sind sogar applizierte Foliensternchen an einem Samthimmel in der Sanktuariumskapelle vorhanden, fixiert mit Nägeln und beklebt mit Glassteinen.

So einmalig die Ausstattung der Kirche ist, so beklagenswert ist ihr Zustand. Wegen akuter Bedrohung gelang es nun, ein "Überlebenspaket" zum Erhalt des Bauwerks in den Landeshaushalt einzustellen. 2006 stehen 2,1 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen Dach und Gebäudehülle gesichert und der weitere Zerfall der Inneneinrichtung gestoppt werden. Dazu gehört die Abnahme der Stoffbahnen, die konservatorisch behandelt, und vor allem von dem sie zerstörenden Schmutz und Staub befreit und stabilisiert werden. Zur Vorbeugung künftiger Schäden sollen Maßnahmen zur Licht- und Klimaregulierung ergriffen werden. Nicht in dem Paket enthalten ist eine Restaurierung der Kirche. Es geht zunächst nur darum, ihren Verfall zu stoppen und sie für einzelne Messen und Sonderführungen wieder in Gebrauch zu nehmen.

Insgesamt bot "Das Erbe des Türkenlouis. Bauen und Bewahren" eine gelungene Synthese aus Kunst-, Architektur-, Religions- und Herrschaftsgeschichte des frühen 18. Jahrhunderts, wobei die Sektion zur Rastatter Schlosskirche vor Augen führte, welche Schätze bis heute in der "Provinz" zu heben sind. Eine Bereicherung war der Brückenschlag zur konservatorischen und betriebswirtschaftlichen Praxis der Denkmälerverwaltung, die auch in Baden-Württemberg angesichts leerer Kassen vor der Aufgabe steht, über neue Wege der Finanzierung und Nutzung nachzudenken. Die enorme Bedeutung des Rastatter Ensembles aus Schloss, Kirche und Umgebung, künstlerisch ebenso wie historisch, wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, soll in Zukunft jedenfalls eine Hauptaufgabe der zuständigen Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten des Landes sein. Auch dafür setzte die Tagung wichtige Orientierungspunkte.

Kontakt

Tagungsleitung und Ansprechpartnerin für die denkmalpflegerische Betreuung des Rastatter Schlosses:
Dr. Karin Stober
Abteilungsleiterin Staatliche Schlösser und Gärten
Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Pforzheim
Schlossraum 22b
76646 Bruchsal

Tel. (0 72 51) 74 26 30
Fax (0 72 51) 74 26 43
Karin.Stober@vbapf.fv.bwl.de


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